Bis ich vor zwei Monaten zum ersten Mal diese grüne Schönheit sah, war Jugendstil-Glas für mich gleichbedeutend mit den elfenhaften Vasen von Emile Gallé. Zugegeben, das zeigt vor allem auch, dass ich auf diesem Gebiet reichlich ahnungslos bin, vielleicht geht es aber dem einen oder anderen ähnlich wie mir.
Gläserner Jugendstil aus Böhmen
Tatsächlich stammt dieses silbrig schimmernde Wunder mit dem in einem stilisierten Blütenblatt endenden Hals aus Böhmen. Neben Nancy, der Heimatstadt Emile Gallés, befand sich dort, im Grenzgebiet zum Bayerischen Wald, ein zweites Zentrum der Jugendstil-Glaskunst. Der bedeutendste Glasproduzent der Region, die Firma Johann Loetz Witwe, ist auch der Hersteller der Vase, die Scheublein Art & Auktionen in München am 30. Juni zu einem Schätzpreis von 600 Euro versteigert.
Schimmernd wie antikes Glas
Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich Joh. Loetz Wwe. mit Glas einen Namen gemacht, das das Aussehen von Mineralien wie Onyx, Jaspis und Malachit täuschend echt imitieren konnte. Als um 1890 Glas aus der römischen Antike entdeckt wurde, dessen Oberflächenschicht sich weißlich verfärbt hatte und deshalb irisierend wirkte, kam Glas mit irisierenden Effekten groß in Mode. Loetz Witwe nahm es rasch in die Produktion auf. Der entscheidende Schritt zu so kunstvollen Objekten wie der grünen Vase bei Scheublein aber vollzog sich nach 1897: Damals wurden die schillernden „Favrile“-Gläser von Louis Comfort Tiffany unter anderem in Wien gezeigt und versetzten halb Europa in Staunen.
Erfolg im Jugendstil-Mekka Paris
Auch Max von Spaun, der Enkel der Firmengründerin, war von der Wirkung der Tiffany-Gläser fasziniert und begann in seiner Glashütte in diese Richtung zu experimentieren und mit Hilfe von Metalloxiden ähnlich schimmernde Effekte zu erzeugen. Bald entstehen zwei verschiedene Dekor-Serien – „Phänomen“ mit eher linearen Silberschattierungen und „Papillon“, bei denen die Metalleffekte eher fleckenartig wirken. Als Glasobjekte von Loetz 1900 auf der Pariser Weltausstellung präsentiert werden, erleben sie einen durchschlagenden Erfolg. Die Firma kann ihre Produkte bis in die USA verkaufen, das Heimatland Louis Comfort Tiffanys, und arbeitet mit den herausragendsten Künstlern der Wiener Werkstätten zusammen, von Josef Hoffmann bis Kohlmann Moser. Auch meine Traumvase stammt aus dieser Zeit. Neben ihrer irisierenden Oberfläche hat sie aufgelegte, silberne Blütenranken und drei Einbuchtungen im Bauch – ein weiteres Stilmittel, das für die Jugendstilobjekte von Loetz Wwe. typisch ist.
Kein Happy End
Leider konnte die Blüte der Firma die Jugendstilzeit nicht überdauern: Die schwierigen Zwanziger Jahren mit ihren Inflationen und der Weltwirtschaftskrise sowie Unglücksfälle innerhalb der Firma führten dazu, dass die Produktion 1939 endgültig eingestellt wurde.